21.06.2018 · TLZ · Gerlinde Sommer
Hier planen die Geraer ihre Stadtmitte
Bürger werden in die Gestaltung der Zukunft ihrer Heimat einbezogen – Mancher ist aber mit dem Erreichten nicht ganz zufrieden
In Gera werden die Bürger einbezogen bei der Planung für diesen zentralen Platz. Die Meinungen gehen derzeit noch auseinander.
Foto: Gerlinde Sommer
VON GERLINDE SOMMER
GERA. Mitten in Gera gibt es eine riesige Wiese, die im Sommer als Schafrasen taugen könnte. Dürres Gras, ein bisschen Klatschmohn, ein paar Kornblumen am Rand ... Vor dem in die Jahre gekommenen Kulturpalast (KuK) steht – umgeben von schadhaften Bodenplatten – ein Kunstwerk, das einem Stück Säule gleicht, oder einem Phallus. Der Stein des Anstoßes oder doch ein Wink dafür, dass es hier schon bessere Zeiten gab?! Derzeit ist diese Fläche öde. Das Areal könnte zum Schandfleck verkommen. Es ist kein Ort mit Aufenthaltsqualität. Und alles andere als eine Visitenkarte für die Stadt, die wahrlich bessere Tage erlebt hat. Von diesen Zeiten zeugt das Stadtmuseum, ein ansehnlicher Bau mit Türmchen und schicker Fassade, am unteren Ende des Geländes. Mehr Gewicht haben aber die schmucklosen, graubraunen Klötze aus der DDR und neueren Zeiten, die diesen Bereich hauptsächlich säumen.
Wie lässt sich dieser Teil der Geraer Innenstadt attraktiver und damit zur neuen Mitte machen? Denkbar sind auf demPlatz, der mehreren Fußballfeldern Raum bieten könnte, ein großer Park, aber auch Bauten, die Wohnraum, Büro- und Praxisflächen, Läden und Gaststätten schaffen. Denn klar ist: Dieses freie Areal liegt äußerst verkehrsgünstig, inklusive Parkhaus; es ist leicht zu erreichen auch für alle, die mit Bus und Straßenbahn unterwegs sind. Selbst der Bahnhof ist in fußläufiger Nähe. Was jetzt wie eine Wunde wirkt, könnte eine der Herzkammern der Innenstadt werden.
Die Menschen in der Stadt an der Weißen Elster gehen in dieser Planungsfrage einen besonderen Weg, von dem hier die Rede sein soll. Anlass dazu ist, dass sich die TLZ in diesen Tagen besonders intensiv dem Thüringer Bürgerengagement in seinen vielen Facetten widmet. Was den einen die Rettung von Schlössern und Burgen und den anderen die Verhinderung von naturzerschneidenden Maßnahmen bedeutet, spiegelt sich hier in der Initiative „Ja – zu Gera“ wider und im Einsatz sogenannter Aktivbürger.
„Ja – für Gera“ wurde mit einem klaren Bekenntnis zur aktiven unternehmerischen Bürgergesellschaft im August 2002 als eingetragener Verein von acht Personen gegründet; Gemeinnützigkeit wurde damals nicht anerkannt – und ist mittlerweile auch kein Ziel mehr, macht Volker Tauchert deutlich, der den Verein initiiert hat und ihn führt. Mittlerweile ist der Kreis derer, die aus der Wirtschaft kommen und den Verein tragen, auf 120 Personen angewachsen. „Mit ihrem Engagement haben wir eine ganz besondere Verantwortung zur Entwicklung der Stadt und Region übernommen und bringen uns auf unterschiedlichste Weise in den einzelnen Mitwirkungsebenen ein“, wie Tauchert betont. Ganz wichtig sei dabei die Vernetzung mit einer Vielzahl von anderen Initiativen, aber auch mit Institutionen, die ebenfalls Verantwortung in der Stadt tragen. „Ja – für Gera“ wolle „jedem Bürger die Chance geben, sich im Rahmen seiner Interessen und Möglichkeiten als ‚Investor‘ in die eigene Stadt, die Lebens- und Arbeitsort sein kann, mit kleinen, aber sehr konkreten Schritten einzubringen“, heißt es. Und das geschieht nun seit mittlerweile 15 Jahren – und auf ganz unterschiedlichen Ebenen: „Ja – zu Gera“ kümmert sich um das Kleine und Große, das Offensichtliche und das Weitreichende, also um Müllsammeln und um Stadtplanung. So ist der Frühjahrsputz nicht nur im Stadtzentrum sondern auch in Naherholungsbereichen sowie an den Stadtein- und -ausfahrtszonen zur Tradition geworden. Und es gibt einen „Stadthausmeister“, der regelmäßig dort die Sauberkeit kontrolliert, wo die städtischen Bediensteten kaum hinkommen. Bei Bedarf werde dann gesäubert. Der Verein hat damit bereits 2004 überregionale Aufmerksamkeit errungen. Der „Kreativkreis Ordnung, Sauberkeit, Sicherheit“ habe immer wieder jenen innerstädtischen Bereich als besonderen Schwerpunkt im Blick, der die „Gersche Meile“ tangiert, betonen die Engagierten.
Es geht aber um mehr, als Dreckecken aufzuräumen und ein Bürgerbewusstsein dafür zu schaffen, keinen Müll auf die Straße zu werfen und den Hundekot sofort wegzumachen. „Ein absoluter Schwerpunkt für unseren Verein ist die Entwicklung von Geras Neuer Mitte“, erklärt Vereinschef Tauchert, der sich Gera aufs Engste verbunden fühlt – und das bereits seit Vorwendezeiten. Als 2014 der erste Projektaufruf der Internationalen Bauausstellung Thüringens (IBA) bekannt wurde, hat sich der Verein beworben. „Zusammen mit einem Projekt der Stadt Gera wurden wir einer der 16 gekürten Iba-Kandidaten“, ist er stolz – insgesamt hatte es 248 Projekteinreichungen gegeben. „Für Geras Stadtentwicklung ist diese Entscheidung erneut eine Chance nach der erfolgreichen Bundesgartenschau 2007“, verweist Tauchert auf die Möglichkeiten, die sich für die Stadt jetzt auftun.
Zentrales Element war die Einbeziehung der Bürger auf dem Weg zum „Rahmenplan plus“. Bereits bei der Aufgabenstellung sei es um eine bürgerbestimmte, transparente Vorgehensweise gegangen, machen Stadt und Verein deutlich. So konnten 2016 Tausende Besucher bei „KuK an ...“ das Ideenkonzept kennenlernen. 550 beteiligten sich konkret an einer Umfrage und trugen so seinerzeit zur inhaltlichen Ausrichtung des Entwicklungsrahmens bei. In der ersten Phase der „Rahmenplanung plus“ konnten die Gremien der Aktivbürger, die Mitglieder der beiden Fachausschüsse des Stadtrates sowie die sieben Fraktionen des Geraer Stadtrates ihre Auffassungen zu den Vorentwurfsvarianten formulieren. Vorentwürfe der Bebauungspläne wurden einer breiten Öffentlichkeit dann während der vierwöchigen Ausstellung „KuK an 2“ vorgestellt. Das inhaltliche Interesse war erneut groß, wie sich etwa bei projektorientierten Diskussionen zum eigens für die Mitte der Stadt entwickelten „Gera-Haus“ zeigte. Von Aktivbürgern war derweil unter dem Namen „Geravitasol“ der Vorschlag für einen Bürgerpark entwickelt worden. 240 Personen legten ihre Meinung schriftlich nieder – ausgewertet wurden diese Hinweise durch Stadtverwaltung und Aktivbürger, wobei es Ärger gab um die Frage, wem welche Rolle zukommen sollte.
Das Ergebnis aller Planungen ist eine jetzt vorliegende Synthesevariante. Sie bildet nach intensiver Diskussion die mehrheitlichen Einschätzungen zu städtebaulichen, freiräumlichen, ökonomischen und funktionalen Fragen ab, wie es heißt. Jene Bürger, die am liebsten einen Park an dieser Stelle gehabt hätten, sehen sich womöglich als Verlierer der Debatte und fühlen sich übergangen. Das offensichtliche Grün, das dieser Kompromissvorschlag mit sich bringt, genügt manchem nicht.
Jetzt ist der Geraer Stadtrat am Zug: Nach einem langen und intensiven Beteiligungs- und Bearbeitungsprozesses gilt es, den aktuellen Planungsstand abschließend zu beraten und eine Entscheidung zu treffen, damit das als anspruchsvoll und wichtig erachtete Stadtwicklungsprojekt umgesetzt werden kann.
Der Verein „Ja – für Gera“ hat aus seiner Sicht die wichtigste Arbeit auf diesem Weg hinter sich gebracht. Zwar werde er noch einige Zeit „diesen Gesundungsprozess in Geras Mitte begleiten“, stellt Tauchert in Aussicht. Parallel werde es aber darum gehen, „weitere innerstädtische Wunden“ in den Blick zu nehmen. Dazu gehöre das Quartier am Zschochern, wo im partnerschaftlichen Zusammenwirken mit der Stadt Gera und dem Buga-Förderverein mit kleineren Maßnahmen ein erstes Zeichen gesetzt worden sei. „Daran muss unbedingt angeknüpft werden“, hebt der Vereinschef hervor. Am Gustav-Hennig-Platz gehe es vor allem um eine Gestaltung, die Attraktivität und Nutzung verbessere. Am Puschkinplatz, zugleich das westliche Tor zur Innenstadt, müsse „eine attraktive und vor allem vielfältigen Nutzung“ geplant werden. Für den Stadtteil Alt-Untermhaus wurde im Zusammenhang mit Investitionen zur Verbesserung des Hochwasserschutzes im November 2015 der Initiativkreis „Licht, Farbe, Wasser“ gegründet. „Perspektivisch muss es darum gehen, Erfahrungen einer kooperativen Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure schrittweise auf weitere Bereiche der Gerschen Meile zu übertragen“, hebt Tauchert hervor. Die „bürgerschaftlich-wirtschaftliche Initiative“, der er vorsteht, fühle sich weiterhin dem Dreiklang von Tradition, Innovation und Leidenschaft verpflichtet.
Matthias Röder von „Mehr Demokratie“ und vom Umweltverein „Grünes Haus Gera“ betont: „Wir sind alle miteinander stolz, dass wir so eine Resonanz erzielt und so eine sachliche Diskussion erlebt haben.“ Aufgepasst werden müsse jetzt aber, was angesichts jener Bürgerstimmen geschehe, die sich für weniger dichte Bebauung und mehr Grün stark gemacht haben. Die Geister scheiden sich derzeit am Haus am Brühl, denn von Bürgerseite sei klar und deutlich der Wunsch geäußert worden, dass es neben Orten, an denen der Aufenthalt etwas kostet – etwa in einem Café –, auch öffentlich zugängliche Räume geben soll, in denen sich Menschen treffen und erholen können, ohne etwa in Verzehr investieren zu müssen. Röder kennt die Vorbehalte mancher Bürger, die meinen, bei dem ganzen Prozedere der Planung zwar einbezogen worden zu sein, mit ihren Vorschlägen aber nicht ernst genug genommen worden zu sein. Er sieht jedoch durchaus Chancen für die Geraer, sich weiterhin bei der Entwicklung der neuen Mitte einzubringen – etwa in den Arbeitsgruppen zu Zwischennutzung, Kommunikation, Planung.
Alles in allem, macht Röder von „Mehr Demokratie in Thüringen“ deutlich, könne er nur jeder Stadt empfehlen, mit engagierten Bürgern solche Wege zu gehen – jeweils individuell zugeschnitten auf die jeweilige Lage.
Layoup wurde an die Seite angepasst.
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